Sophie Dvořák
Das Bild der Welt ist ein anderes
Eröffnung: Donnerstag, 4. Dezember 2025 – 19 Uhr
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Das andere Bild der Welt
Über die Arbeiten von Sophie Dvořák
Seit 1957 mit Sputnik 1 der erste Satellit ins All geschickt wurde, bevölkern Tausende künstliche Himmelskörper zu Forschungs-, Kommunikations- oder kommerziellen Zwecken den Weltraum. Erdbeobachtungssatelliten fungieren dabei wie eine Prothese. Sie übernehmen die Funktion eines Wahrnehmungs- und Kommunikationsorgans außerhalb des menschlichen Aktionsraums, ja sogar außerhalb der Biosphäre. Die technisch generierte Erdansicht, die sich auf dem Bildschirm mit dem Zeigefinger oder Cursor durchwandern lässt wie ein zweiter, simulierter Raum, hat einen dissoziativen Charakter: Wir können unsere Welt mithilfe einer Wahrnehmungsprothese aus einer Perspektive außerhalb des eigenen Raum-Zeit-Kontinuums betrachten, mehr noch: den uns eigenen Raum interaktiv (re)konstruieren.
Mit dem Blick auf die Welt und ihrer visuellen Darstellung befasst sich Sophie Dvořák schon seit Langem. War die Basis ihrer früheren Arbeit die klassische Kartografie, also physische Karten, so ist es heute auch das digitale, zusammengesetzte Weltbild aus Satelliten- und Luftaufnahmen. Im aktuellen Projekt verwendet die Künstlerin als Material – stellvertretend für viele auf diese Weise dokumentierte Veränderungen auf der Erdoberfläche – aus Google Earth entnommene Ansichten vom Gebiet des ehemaligen Aralsees in Zentralasien, der seit den 1960er-Jahren zunehmend austrocknete und heute eine riesige Salzwüste bildet. Geologische beziehungsweise vom Menschen hervorgerufene Entwicklungen wie diese können durch Satelliten auch rückblickend mitverfolgt werden: Daten werden permanent generiert und gespeichert und können jederzeit abgerufen, was im Allgemeinen bedeutet: zu Bildern werden. Die Bilddaten müssen erst einen komplexen, ressourcenintensiven Bildwerdungsprozess durchlaufen, eine „imaging pipeline“ [1] Hinter der scheinbar präzisen Abbildung der Erdoberfläche verbergen sich zahlreiche Eingriffe, darunter KI-gestützte Korrekturen oder Komprimierungen, die, nicht zuletzt wegen der enormen Datenmengen, sogenannte Glitches, Störungen und Fehler, erzeugen. Die einzelnen Satelliten- und Luftbilder werden dabei zu einem nahtlosen Mosaik zusammengefügt, das geometrisch korrigiert und exakt ausgerichtet ist. Die Welt wird somit durch ein technisches System temporär „zusammengestitcht“ und als technisch einwandfreie, ausdifferenzierte Darstellung der Realität präsentiert.
Solches Bildmaterial wird in Form von flach auf dem Boden liegenden, sich teils überlagernden Digitaldrucken gleichzeitig Sujet und Objekt. Im Blick auf diese – wie Flugblätter vom Himmel gefallenen – Reste einer fluide durchscannten Welt taucht man in eigenwillige, nahezu abstrakte beziehungsweise sich auflösende Formationen, die von Salzverkrustungen, Wolken und ihren Schatten oder Wasserlinien herrühren. Besonders auffällig sind darüber (oder darunter?) liegende Rasterstrukturen, die wie stark vergrößerte Pixel immer wieder auftauchen, als würden die Prints daran erinnern wollen, dass jeder manifest gewordene Blick auf die Welt eine kartografische Projektion ist, eine Übersetzung aus einer Dimension in die andere.
Sophie Dvořák verarbeitet Fragmente ausgewählter Satellitenaufnahmen auch in Gips. Sie gießt das flüssige Material über einzelne Bilder und versetzt Teile der Masse mit Salz. Der Härtungsprozess dauert einige Tage, und in dieser Zeit frisst sich das Salz in die Oberfläche. Ähnlich den Erdbildern der Aralwüste entstehen körnige Krater, Einbuchtungen, Deltas, Erhebungen, ganz ohne weiteres Zutun und eine Einflussmöglichkeit der Künstlerin. Einmal gehärtet und umgedreht, evozieren die Gipsgüsse vollkommen neue, weiße Topografien. Teile der Satellitenbilder, die an sich schon Auszüge aus unterschiedlichen Schichten und Update-Bereichen darstellen, werden wie in einem archäologischen Grabungsprozess freigelegt: Das, was an die Oberfläche geholt, also sichtbar wird, ist kontingent, der Großteil bleibt im Verborgenen. Oft belässt Dvořák den Gips und das Salz für sich, verzichtet in einigen Objekten also auf das (physische) Satellitenbild, das sich dann nur noch als eine Art Echo in der jeweiligen Oberflächenstruktur wiederfindet. Die sich visuell fast auflösenden Reliefplatten gleichen verschwindenden Bildern, zufällig erhaschten Blicken auf eine geologisch sich verändernde Welt, auf Modelle, Abdrücke, Spuren. Immer wieder zeigen die Gipsflächen gebrochene vertikale oder horizontale Linien oder Rillen – auch das scheinbar Spuren der digitalen Erdaufzeichnung. Denn diese simuliert nur ein Oberflächenkontinuum, in dem man sich visuell frei bewegen kann; tatsächlich gehen die Zoom-ins regelmäßig mit „sichtbaren Nähten und Glitches einher – digitalen Störungen, die das [zugrunde liegende] Raster mitunter zu erkennen geben“. [2] Das, was uns als Kontinuum vorgetäuscht wird, ist selbst nur eine Collage aus unterschiedlichsten Aufnahmen. Glitches zeugen von diesem Dis-Kontinuum.
In der Ausstellung Das Bild der Welt ist ein anderes spiegeln sich der Prozess der digitalen Bildentstehung, die Rasterflächen, die immer neu bestückt werden und das reale Bild der Erde zum Verschwinden bringen, im Raum wider. Das im Auf- oder Umbau begriffene Element aus Gipskarton – das Material der architektonischen Schimäre – suggeriert eine Art Navigationssystem und scheint so den digitalen Kontext des permanent Veränderbaren im Raum anzudeuten.
Dvořáks Arbeiten verhandeln den technischen Blick von oben, der nur scheinbar objektiv und allwissend ist, aber jeder zeitlichen und räumlichen Verankerung entbehrt. Wann ist ein Bild „wahr“? Wenn ich das Dargestellte erkenne, wenn ich weiß, was das Bild zeigt? Die Erkenntnis beruht vielmehr auf Verkennung. Bezogen auf unsere Vorstellung von der Welt bedeutet dies, dass erst in der Darstellung ihre kontingente Erscheinung zur Gestalt wird. So sind die Satellitenaufzeichnungen streng genommen keine Bilder; sie gleichen eher einem Gewebe ohne Abschluss, ohne feste Form. Sie tragen alles Aufgezeichnete in sich, ohne Auswertung, ohne Bewertung. Als Nachfolger der Karten [3] existieren sie für sich selbst, ohne Beginn und ohne Ende, weder zeitlich noch räumlich. Die Werke von Sophie Dvořák lassen Bruchstücke aus dieser fluiden Textur gerinnen. Das Bild der Welt ist ein immer anderes.
[1] Daniel Eschkötter, Satellitenbilder. Forensik und Vorhersage, Berlin 2025, S. 19.
[2] Ebd., S. 26.
[3] Zur Karte siehe auch Deborah Schulz, „The Conquest of Space“. On the Prevalence of Maps in Contemporary Art (Essays on Sculpture, 35), Leeds 2001, S. 4.
Text: Ines Gebetsroither