PAYER GABRIEL
Science, Nescience, and the Unknowable
Eröffnung: Freitag, 29. November 2024 – 19 Uhr
Wir beschäftigen uns seit langer Zeit mit der Frage, wie die Wissenschaften ihre Inhalte visuell vermitteln und in welchem Verhältnis sie dabei zu den bildenden Künsten stehen. Das dichotome Verhältnis zwischen den Wissenschaften und den Künsten, dessen Ursache unter anderem in der wachsenden Spezialisierung und Disziplinierung des Wissens liegt, wird zunehmend hinterfragt. Die Wissenschaften auf diskursiv-rationale und die Kunst auf sinnlich-ästhetische Erkenntnisformen zu reduzieren, entspricht nicht den Tatsachen der wissenschaftlichen und künstlerischen Praxis. Neues Wissen zu generieren ist ein komplexer Prozess, der auch auf Zufall, Kreativität und sozialen Interaktionen basiert. Während durch eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Technologien und den von ihnen erzeugbaren Medien das Wissen immer weiter anwächst und zirkuliert, sind wir auch mit einer wachsenden Wissenschaftsskepsis konfrontiert, wie wir beispielsweise in Zeiten der Pandemie schmerzlich erfahren mussten. Diese Skepsis wird durch die Verbreitung von Unwissen begünstigt, welches durch soziale Medien immer leichter verfügbar wird. Wissen wird in der Philosophie der Erkenntnistheorie als wahre, gerechtfertigte Überzeugung definiert. Unwissen ist bloße, ungesicherte Überzeugung, die medientauglich und glaubwürdig vermittelt wird. Leider aber gewinnt Unwissen als ungesicherte Überzeugung, als alles das also, was sich bequem in das Spektrum der eigenen Glaubenssätze einpasst, großen Einfluss auf globale politische Entwicklungen. Mit der Ausstellung in der Galerie3 wollen wir jedoch nicht nur Wissen und Unwissen reflektieren, sondern auch dem Unwissbaren Raum geben. Denn es ist das Unwissbare, das jene Sogwirkung erzeugt, die sowohl in den Wissenschaften als auch in den Künsten einen gestalterischen Prozess in Gang zu setzen imstande ist. Es erschüttert uns in unserer existenziellen Grundkonstitution und öffnet einen Möglichkeitsraum, in dem die Dinge nicht zu Ende erklärt werden können und die Übersetzung zu einem Spiel wird.
In der Galerie3 zeigen wir mehrere Werkserien und Objekte, die für die Ausstellung entstanden sind oder erweitert wurden. Was Wissen für die Kunst bedeutet und welche Rolle Bilder in der Produktion und Vermittlung von Wissen spielen, sind zentrale Fragen, die wir in der Ausstellung behandeln. Uns geht es vor allem um einen Fokus auf visuelle Strategien in der Produktion und Vermittlung von Wissen, deren sich die Wissenschaften bedienen. Die Zeichnung fand sowohl in den Wissenschaften als auch den Künsten seit jeher Anwendung als epistemisches Denkinstrument und ist für uns das primäre Medium, um diese beiden Sphären zusammenzudenken. Unsere zeichnerische Herangehensweise öffnet sich sowohl konzeptionellen Ansätzen als auch der Einbeziehung des Zufälligen in den Arbeitsprozess. Die Zeichnung bietet uns durch die Bandbreite an Techniken die Möglichkeit, die vielfältigen Spektren wissenschaftlicher Weltdarstellungen ästhetisch zu vermitteln und eigenständig erfahrbar zu machen.
Aus der Serie „On Inscriptions“ zeigen wir Arbeiten im Format 100 x 70 cm, die mit unterschiedlichsten Zeichnungstechniken und teilweise unter Einbeziehung von Radierung und Papierprägungen entstanden sind. Diese Serie hat einen Text des Wissenschaftssoziologen Bruno Latour mit dem Titel Visualisierung und Kognition (1986) zum Ausgangspunkt und bezieht sich auf den Begriff der Inskriptionen, die als verschriftlichte, abstrahierte und gespeicherte Wissensformen beschrieben werden. Inskriptionen, so Latour, sind ausschlaggebend für den Erfolg und die Dominanz westlich-europäischer Wissenssysteme. Als unveränderlich mobile Elemente (immutable mobiles) wie Listen, Diagramme, Karten, Kurven, Tabellen, Indexe, technische Skizzen oder Pläne dienen sie dazu, komplexe und unverrückbare Gegenstände an allen Orten der Welt verfügbar zu machen. Bei der Entstehung dieser Zeichnungsserie beschäftigte uns die Frage, wie man diesen komplizierten Text in Bilder übersetzen kann, ohne illustrativ zu agieren, und dabei die ästhetische Dimension wissenschaftlicher Visualisierungen zu erfassen.
Im Zuge eines Beitrags zu einem künstlerischen Forschungsprojekt des Duos Ruth Anderwald und Leonhard Grond über den Taumel als kulturphilosophisches Phänomen mit dem Titel „Navigating Dizziness Together“ entstand die Zeichnungsserie „The Dizziness of Ordering“. Für diese Serie haben wir uns Marmoriertechniken angeeignet und zweckentfremdet, um uns mit Wissensordnungen auseinanderzusetzen. Ordnungssysteme sind Bewältigungsstrategien für die Wissens- und Informationsflut, mit der wir in zunehmendem Maß konfrontiert sind. Ordnungen basieren auf vielen Entscheidungen und folgen auch ästhetischen Impulsen. Sie erscheinen oft selbstverständlich und logisch und verbergen die Interpretationen, Anpassungen und Entscheidungen, die für ihr Funktionieren nötig sind. Die gezeigten tableauartigen Zusammenstellungen greifen die Inkonsistenzen, die Ordnungen inhärent sind, auf. Auf verschiedene Weisen versuchen diese Re-Enactments die „Negativform“ (als den gezeigten Objekten entgegengestellte Form) zu absorbieren: als Nachleben unserer visuellen kulturellen Prägungen, als Ineinanderfließen von Form und Grund, als Camouflieren der Formen und Betonen der Zwischenräume, als Fokussierung auf das Belanglose und Alltägliche. Die Tafeln entstanden in mehreren Schichten von Marmorierung und Zeichnung. Viele Motive basieren auf Plastikverpackungen, sogenannte Tiefziehformen, von Alltagsgegenständen. Diese verfremdeten ornamentalen Formen kombinieren wir mit wissenschaftlichen Objekten, Alltagsobjekten verschiedener kultureller Kodierungen, paradoxen Kreaturen, anatomischen Strukturen, fossilen Formen, uvm. Die Tafeln verstehen wir als Spuren von Ordnungen, als Standbilder von Gleichzeitigkeit.
Die „Trees of Knowledge“ sind unkategorisierbare Hybride zwischen Skulptur, Rahmen und Display. Sie bestehen aus Eichenleisten und mit Magneten befestigten Zeichnungen, die mit dichroitischen Folien kombiniert werden. Diese Objekte teilen die vielstimmige Kritik an binär-oppositionell organisierten Wissensordnungen, zu denen auch Wissensbäume zählen, und deren Einfluss auf vereinfachte Denkstrukturen, die der Komplexität des Lebendigen nicht gerecht werden können.
Für die Werkserie „Subjektpositionen“ haben wir Porträts eines im Stadtraum gefundenen Objekts angefertigt. Es handelt sich bei diesem Objekt um einen Poller, dessen eigentlich unsichtbares, stützendes Betonfundament zum Kopf einer Skulptur wird. Aus dieser Skulptur lassen sich aus verschiedenen Blickwinkeln unterschiedliche anthropomorphe Gesichtszüge und Profile herauslesen. Das diesem steinernen Objekt immanente Potenzial zu multiplen Subjekthaftigkeiten verstärken wir mithilfe unterschiedlich eingefärbter Hintergründe.
Seit vielen Jahren widmen wir uns vor allem in großformatigen Zeichnungen und unterschiedlichen Techniken immer wieder dem Stillleben, in der Erfahrung, dass diese den Menschen aussparende Darstellungsform eine Bandbreite an zeitgenössisch-brisanten Themen posthumaner Natur vielfältig bearbeitbar und zugänglich macht. Zu Recht bemerkt der Kunsthistoriker Norman Bryson, der dieser marginalisierten, untertheoretisierten künstlerischen Form eine ausführliche Studie gewidmet hat, dass beim Stillleben eher von einer Serie als einer Gattung die Rede sein muss, deren Grenzen historisch immer wieder neu verhandelt wurden. Diese Serie reicht von der ältesten bekannten Version, der römischen Form des „Xenia”, über die „Rhopografie”, das niederländische Stillleben bis zur Moderne in die Gegenwart. Verbindend ist dabei die Umschreibung des Menschen und seiner sozialen Situation über die Dingwelt. Die Dinge erweisen sich als eingeschriebene Zeichen sich verändernder Lebens- und Wissensformen in multiplen Spektren von Opulenz, Nüchternheit, Luxus, Verzicht, visueller Täuschung, Alltäglichkeit und Vergänglichkeit. Die in der Ausstellung gezeigten Stillleben verstehen wir als Teil einer Versuchsreihe, in der wir das Genre als kulturell eingeschriebene Repräsentationsform immer wieder anders auszuloten versuchen.
Text: PAYER GABRIEL
30. November 2024 – 8. Februar 2025